Was meine Patienten über mesenchymale Stammzellen, extracorporale Stoßwellentherapie (ESWT) und extracorporale Magneto Transduktionstherapie (EMTT) interessieren könnte von Dr. U. Dreisilker
Was sind Stammzellen, welche Aufgaben haben sie?
Die entwicklungsfähigste Stammzelle (Stz) ist die befruchtete Eizelle, aus der ein Mensch entstehen kann. Schon kurze Zeit nach der Befruchtung kommt es zu den ersten Zellteilungen (Blastozysten-Stadium) und Einnistung in die Gebärmutter. Die durch Zellteilung früh gebildeten Zellanhäufungen werden als embryonale Stz, die als Vielkönner (Pluripotenz) jede menschliche Gewebe- und Organanlage, nicht aber mehr einen vollständigen Menschen entwickeln können.
Ab der Geburt sprechen wir nicht mehr von embryonalen, sondern von adulten Stz. Sie werden multipotent (Mehrkönner) und können alle Zellen desjenigen Organs generieren, in dem sie vorkommen, resident sind. Neuronale Stz. wie beispielsweise Nerven- und Gliazellen können keine Knochen oder Fettgewebezellen bilden. Blutbildende Knochenmarkzellen sind fähig, rote und weiße Blutkörperchen oder Thrombozyten, nicht aber Nervenzellen zu generieren.
Der Weg der regenerativen Medizin ist in Deutschland nur mit adulten StZ. erlaubt, denn ethische Gründe verbieten, werdendes Leben für die StZ.-Gewinnung zu töten.
Mesenchymale Stammzellen (MStZ) sind multipotent, also Mehrkönner. Die Zellvermehrung (Proliferation) dient dem Wachstum und der Gewebeerneuerung. Sie erfolgt kontinuierlich durch billionenfache Teilungsfähigkeit in Millisekunden und sind fähig, alle Zellen des Gewebes zu bilden, in dem sie in ihrem natürlichen Umfeld vorkommen, zuhause (resident) sind wie beispielsweise in Knochen, Knorpel, Haut, Faszien, Muskel, Sehnen.
Als multipotente MStZ können sie unterschiedliche Zellarten bilden und zu
Vorläuferzellen der Körperzellen (KöZ) differenzieren.
Spezifische Wachstumsfaktoren fördern die Zellteilung und steuern die physiologische Gewebevermehrung und Zellerneuerung.
Der konstante Pool neuer MStZ mit identischem Replikationspotenzial ersetzt mit einem gesunden Zellnachschub- Fachjargon Zellmigration- pathologisches Gewebe und KöZ, die nach kurzfristiger Teilungsfähigkeit den genetisch programmierten Zelltod sterben.
Leider erwischt der Alterungsprozeß auch ältere MStZ. Zum Ende ist die Teilungsfähigkeit der Zellen so sehr am Limit, daß keine vollständigen Kopien mehr gebildet werden. Sie können nicht mehr perfekt zum Zielgewebe differenzieren, wo sie eigentlich heilen, regenerieren sollen. Ein gutes Beispiel eingeschränkter MStZ- Leistungsfähigkeit finden wir bei nicht heilenden Wunden (u.a. des Diabetikers). Der Einsatz junger, im Labor gezüchteter MStZ, sorgte im Experiment für spontane Wundheilung.
Was sind Gründe für das Altwerden, die reduzierte Teilungsfähigkeit der Zellen, den degenerativen Gewebeabbau? Es liegt nahe, bei den Mitochondrien, den biochemischen Kraftwerken unserer Zellen nachzuforschen. Ohne gespeicherte Energie (ATP) der Mitochondrien, die letztlich aus der biochemischen Aufschlüsselung unserer Nahrung stammt, wären Zellteilung, sämtliche Körperfunktionen, Immunreaktionen und Entzündungsprozesse nicht möglich.
Schade, die Grundlagenforschung konnte bisher keine entscheidende Antwort auf die Frage geben, was eigentlich die Mitochondrien mit zunehmender Lebenszeit schwächt oder gar lahmlegt. Sind es allein die aggressiven freien Radikale (entstehen bei Sauerstoffmangel in der Atemkette) oder Umweltgifte, UV-Licht, Rauchen und Viren, die verantwortlich für die Abnahme mitochondraler Aktivitäten sind? Man weiß es noch nicht.
Schuld am schleichenden Muskelschwund im Alter-der Sarkopenie, sind rückläufige Zahlen der Mitochondrien und das Nachlassen ihrer Energie. Intensives Intervall- Krafttraining führt umgekehrt zu einer Vermehrung der Mitochondrien, steigert die mitochondrale Leistungsfähigkeit und kann die Sarkopenie aufhalten. Ein Intensivtraining und generell sportliche Aktivitäten wirken nicht nur auf Muskelzellen, sondern auch auf andere Gewebe. So konnte das schwedische sportwissenschaftliche Team um Alfredson schon vor Jahrzehnten nachweisen, regelmäßiges exzentrisches Dehnen und Belasten bei Sehnenerkrankungen- ein gutes Beispiel ist die Achillessehne-aktivieren mitochondrale Energie der MStZ, beschleunigen Zellteilung und Regeneration des Gewebes.
Mechanotherapie
Bewegungen, Druck- und Spannungskräfte aus der Umgebung, sind ständiger Anreiz für kontinuierliche Zellteilungen und Zellerneuerungen, dem physiologischen Wachstum und der Geweberegeneration. Dafür gibt es in der klinischen Medizin genügend Beispiele.
Druckmechanische Prinzipien fördern die Generierung der aufbauenden Stammzellen, der Osteoblasten und die Hemmung der abbauenden Osteoklasten bei Nagelung, Verschraubung und Verplattung von Knochenbrüchen oder auch bei Gliedmaßen-Verlängerungen/Verkürzungen mit äußeren Spannern.
Expander- und Dehnungstechniken initiieren vermehrtes Gewebewachstum durch vermehrte Zellteilung. So gewinnt man Hautlappen zur plastischen Deckung von Defekten in der plastischen und onkologischen Chirurgie.
Auch die Spreizhosenbehandlung bei Säuglingshüftdysplasie ist eine bewährte Mechanotherapie. Die Knochen bildenden Osteoblasten werden durch den Abspreizdruck des Hüftkopfes auf die flache Pfanne aktiviert, die Pfanne reift in die regelrechte Form.
Mechanische Energie der ESW setzen wir seit geraumer Zeit auch beim postraumatischen Knochenmarködem (Bone bruise) ein, um Osteoblasten, bzw. Vorläuferzellen zu aktivieren.
Extracorporale Stoßwellentherapie Mechanotransduktionstherapie (ESWT)
Auch die ESWT ist eine Mechanotherapie. Experimentelle und klinische Studien haben viel zum Verständnis des biochemischen Wirkungsmodells, der Mechanotransduktion, beigetragen. Dazu müssen wir jetzt eintauchen in die Mikrostrukturen und kleinmolekularen Signalwege innerhalb unserer Zellen.
Hochauflösende elektronennmikroskopische Abbildungen erlauben Einblicke in die Mikro-und Nanoanatomie einer Zelle und in ihr Umfeld. Man sieht Zwischenzell-Brücken, kanalartige kleine Verknüpfungen und Verbindungen durch tunnelförmige Mikroröhrchen (Nano-tubes genannt) auch über längere Distanzen. Sie alle dienen als Vermittlungswege kaskadenartiger, biochemisch- molekularer Prozesse, also als Signalketten zwischen Zellinnerem, Zellwand und Grundsubstanz, der extrazellulären Matrix (EZM). Diese Strukturen erlauben den Transfer biochemischer Mikro- und Nanokomponenten von innen nach außen und umgekehrt. Vorstellbar ist ihre Aufgabe bei der Zellmigration. Sie könnten heilsame Frachten transferieren. Verschiedene Moleküle können durch diese Kanäle passieren u.a. Nucleotide (Bausteine von Nukleinsäuren) zur Regulation der Genaktivierung (RNA) Aminosäuren zur Proteinsynthese, ATP zur Energieversorgung der Mitochondrien und Ribosomen („Fabrik“ zur Bildung von Proteinen), Ionen und Wasser.
Mechanischer Druck auf einen Zellverbund oder Zugspannungen durch adhäsive Proteinfasern der Grundsubstanz stimulieren Mechanorezeptoren und hochempfindliche Sensoren der inneren und äußeren Membran einer Zellwand. Die Permeabiltät (Durchlässigkeit) der Zellwand wird stabilisiert. Biochemische, kleinmolekulare Kaskaden werden durch mechanische Energie gestartet.
Der erfahrene ESW-Therapeut weiß, schon mit niedrig dosierten Stoßwellenimpulsen öffnet er die Passage der Zellwände und setzt spezifische Signaltransduktionswege in Gang, also biochemisch-molekulare Verbindungen zwischen Zellinnerem und der Grundsubstanz. Bestimmte Gene im Erbgut des Zellkerns werden aktiviert oder blockiert.
Findet sich in den Zellen genug Sauerstoff ist eine Regeneration des Gewebes nicht nötig. Ist jedoch der Sauerstoffgehalt in den Zellen gering, sammelt sich ein kleines, kurzkettiges Protein vermehrtßßß an. Dieses Steuerprotein wurde von seinem Entdecker, dem Grundlagenforscher Gregg Semenza, HIF genannt, abgekürzt für Hypoxia-Inducible Factor, also ein Faktor, der bei zellulärer Sauerstoffunterversorgung aktiv wird. Bei genügender Anreicherung wandert HIF in den Zellkern, startet das Lesen und Abschreiben von über 300 Gencodes in mRNA-Stränge, Transkription genannt. Unmittelbar danach wird eine Flut von Signalen in unseren Zellen unter der Regie des kleinen HIF-Steuerproteins aktiviert. Die Bioproduktion, die Synthese von Wachstumsproteinen als „Bausteinersatz“ bei Gewebedegenerationen wird in den intrazellulären Fabriken, den Ribosomen, in Gang gesetzt.
Die Entdeckung des Steuerungsfaktors HIF, seine Entschlüsselung und das bessere Verständnis zellulärer Regenerationsmechanismen sind auch wegweisend für die Wissenschaft bei der Krebsbekämpfung, Wundheilungsstörung, Blut- und Herz-Kreislauferkrankungen. Die Wissenschaftler Semenza, Sir Ratcliffe und Kaelin wurden für ihre Entdeckungen 2019 mit dem Medizin-Nobel-Preis geehrt.